Demokratie: ein übersättigter und leerer Begriff zugleich

von Steffi Menke, Nina Metzler, Caroline Zilse

Als ein Beispiel für den paradoxen Zustand der gleichzeitigen Übersättigung und Leere des Demokratiebegriffs könnte die historische Karikatur „Raucherkünste“ gedeutet werden: In der abgebildeten Darstellung versucht ein Land – in diesem Fall Russland – seine partikulare Idee gegenüber anderen Weltmächten als universelles Projekt zu etablieren. Dafür wird in der Karikatur der Begriff der Demokratie als leerer Signifikant verwendet. Ein Signifikant, auch als Form bezeichnet, kann bedeutungsentleert sein, indem beispielsweise Bedeutungen an unterschiedliche Kontexte gebunden oder über- bzw. unterdeterminiert sind.

Karikatur-–-Demokratie
Bildunterschrift: Der Genosse bläst seinen Spießgesellen einen schönen Rauch vor; die Pfeife aber hält er wohlweislich auf dem Rücken. Bildquelle: http://kunstmuseum-hamburg.de/karikatur-demokratie/

In dem politischen Diskurs, der in der Karikatur angedeutet wird, ist die sprachliche Artikulation Russlands gegenüber den anderen Staaten gegensätzlich zu dem, was hinter vorgehaltener Hand die eigentliche Intention zu sein scheint (nämlich die der sog. „Weltrevolution“). Die Handlungen der abgebildeten Staaten stimmen zwar in ihrer Abgrenzung zum Äußeren überein, sind aber tatsächlich durch Differenz charakterisiert. Die Äquivalenz ergibt sich in dem abgebildeten politischen Diskurs somit vor allem durch negative Übereinstimmung – was erahnen lässt, wie vielschichtig und komplex Diskurse sein können.

Weltweit werden aktuell Diskurse über Demokratie und Menschenrechte geführt. Dabei werden immer wieder Stimmen laut, die fordern, Demokratie nach westlichem Vorbild zu etablieren und andere politische Systeme abzulehnen oder gar abzuschaffen. Westliche Demokratie wird als das idealtypische politische System propagiert und mit Schlagwörtern wie Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit legitimiert.

Bei genauerer Betrachtung dieser Forderung tun sich jedoch einige Fragen auf.

Können wir eigentlich von einer dichotomen Trennung eines westlichen und nicht-westlichen Demokratieverständnisses sprechen, angesichts der Fülle an Akteuren dieses weltumfassenden Diskurses? Was kann oder soll man unter Demokratie verstehen? Und kann man überhaupt noch von der Demokratie sprechen, wenn jeder dabei etwas anderes meint?

Mit den Regeln und Regelmäßigkeiten von Diskursen – insbesondere deren performativer und wirklichkeitskonstruierender Macht – beschäftigt sich die Diskursanalyse. Der zentrale Aspekt liegt dabei nicht auf der Untersuchung objektiver Fakten, sondern auf der bzw. den sprachlichen und somit auch subjektiven Konstruktionen von Wirklichkeiten.

Zunächst stellen Diskurse das Resultat hegemonialer Projekte dar, die das Ziel verfolgen, an moralisch-intellektuelle oder politische Anführerschaft zu gelangen (Torfing 2002: 54f.). Die kleinsten Einheiten von Diskursen sind Artikulationen. Diese machen das “Wesen” eines Diskurses aus und diesen somit einzigartig oder partikular. Diskurse kreisen dabei stets um Universalien, also Allgemeinbegriffe wie beispielsweise Demokratie, die wiederholbar und auf andere Dinge übertragbar sind (Zapf 2006: 183).

Um den Aspekt der Wiederholbarkeit und Übertragbarkeit zu erfüllen, müssen diese universellen Repräsentanten des Diskurses inhaltlich von den partikularen Ideen befreit werden. Solche Universalien, wie auch Demokratie, können somit auch als leere Signifikanten bezeichnet werden. Charakteristisch stehen sie für alles und nichts, denn sie werden im Diskurs zwangsläufig fast gänzlich bedeutungsentleert. Diese Inhaltslosigkeit entsteht einerseits durch die Überdetermination von Bedeutungen, die von verschiedenen Parteien auf den Signifikanten übertragen werden. Andererseits ist die Konstruktion von Bedeutungen gebunden an kulturalistische Kontexte, wodurch ebenfalls die Phrasenhaftigkeit leerer Signifikanten herrührt (Laclau 2010:65). Diese universellen Repräsentanten bezeichnen nicht nur die Forderungen des Diskurses und verdeutlichen diesen, sondern beschreiben somit auch seine Grenzen (Zapf 2016: 183f).

Diskurse stellen nicht nur ein Produkt sozialer bzw. politischer Wirklichkeit dar, sondern konstruieren Wirklichkeit durch Sprache. Soziale Wirklichkeit ist somit nicht etwas von Natur aus gegebenes oder auf Rationalität beruhendes, sondern eine durch Diskurse erschaffene Konstruktion. Diskurse legen fest, über was gesprochen wird (und über was nicht) und was man in einem bestimmten Kontext unter einer bestimmten Sache versteht.

Auf den Demokratiediskurs bezogen bedeutet dies: Alle reden vom gleichen, meinen aber nicht dasselbe, und am Ende reden womöglich doch alle von etwas anderem. Ein paradoxer Zustand – der Demokratiebegriff, randvoll gesättigt mit unterschiedlichsten Zuschreibungen, in seiner Rolle als Signifikant jedoch gleichzeitig bedeutungsleer. Daraus ergibt sich, dass universelle Begriffe wie Demokratie nicht einfach übertragen werden können.

Angesichts des Pluralismus an Vorstellungen davon, was Demokratie ist, scheint eine dichotome Trennung zwischen westlichem und nicht-westlichem Demokratieverständnis nicht mehr haltbar zu sein. Können wir bei solch vielfältigen Verständnissen jedoch noch einheitlich von Demokratie sprechen, oder müssen wir womöglich neue Begriffe für die verschiedenen Definitionen schaffen oder alternativ unser Verständnis davon, was Demokratie ausmacht, erweitern? Und benötigt es womöglich zumindest eine grundlegende Basis dafür, was mit Demokratie gemeint ist, damit sich die einzelnen Parteien dennoch verstehen? Einen Vorschlag hierfür wiederum bietet beispielsweise das V-Dem Project (Coppedge et al 2017: 2), welches Moritz Fessler und Frauke Gajdus in ihrem Blogpost kurz erläutern.

Falls es jedoch einen gemeinsamen Nenner geben kann oder soll, müsste wiederum gefragt werden, wer oder was diesen legitimiert, womit man wieder am Anfang aller Überlegungen stehen würde. Welche Wortbedeutung, oder in unserem Fall, welches Verständnis von Demokratie denn nun das allgemein Richtige ist, lässt sich kaum beantworten. Trotz vieler unbeantworteter Fragen steht eines jedoch fest: die Frage danach, was genau Demokratie sein kann oder gar sein soll, wird weiterhin kontrovers diskutiert werden.

Quellen:
Coppedge, Michael/Gerring, John/Lindberg, Staffan I./Skaaning, Sven-Erik/Teorell, Jan (2017): V-Dem Comparisons and Contrasts with Other Measurement Projects. University of Gotheburg Working Paper 2017 (14).

Laclau, E. (2010): Emanzipation und Differenz. Wien, Berlin: Verlag Turia + Kant.
Martin, H.-J. (2002): Am Ende (–) die Ethik? Begründungs- und Vermittlungsfragen zeitgemäßer Ethik. Münster: LIT Verlag.

Torfing, Jacob (2002): Discourse analysis and the post-structuralism of Laclau and Mouffe. Online. URL: [zuletzt aufgerufen am 19.05.2017].

Walzer, M. (1996): Lokale Kritik – globale Standards. Zwei Formen moralischer Auseinandersetzung, Hamburg: Rotbach.

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